Schuld und Verantwortung

Als Erstes eine kurze Definition der Begriffe Schuld und Verantwortung, wie sie in gebraucht werden

Im Internet finden sich für „Schuld“ (u. a.) folgende Definitionen:

  • Ursache von etwas Unangenehmem, Bösem oder eines Unglücks
  • bestimmtes Verhalten, bestimmte Tat, womit jemand gegen Werte, Normen verstößt
  • begangenes Unrecht, sittliches Versagen, strafbare Verfehlung

Die Definitionen für „Verantwortung“ lauten (u. a.) wie folgt:

  • Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass (innerhalb eines bestimmten Rahmens) alles einen möglichst guten Verlauf nimmt
  • Verpflichtung, das jeweils Notwendige und Richtige getan wird und möglichst kein Schaden entsteht
  • Verpflichtung, für etwas Geschehenes einzustehen

Zwei Seiten, eine Medaille

Damit sind die zwei Aspekte „Schuld“ und „Verantwortung“ gewissermaßen die zwei Seiten ein und derselben Medaille: Schuld fokussiert auf das, was geschehen ist und schon vorbei ist; während Verantwortung auf dem bereits Geschehenen aufsetzt und den Fokus darauf legt, was aus der gegebenen Situation gemacht werden kann.

Und dennoch ist das nur eine Medaille mit zwei Seiten und damit mit zwei Gesichtspunkte, die jeder eine Lebensphilosophie darstellen kann. Wenn dies so ist, dann wird wohl der jeweils andere Gesichtspunkt unverständlich erscheinen.

Also werfen wir einen kurzen und dennoch detaillierten Blick auf diese zwei Seiten der Medaille mit den zugehörigen Implikationen.

Schuld

Schuld ist eine der klassischen negativen Emotionen. Sie ist auch das beliebteste Instrument, mit dem große Institutionen – wie beispielsweise verschiedene Religionen – teils seit Jahrtausenden erfolgreich arbeiten.

Eine infame und blasphemische Unterstellung? Nun, mit der Taufe bin ich die Erbsünde losgeworden und mit dem Austritt den Drang, die Kirche anzugreifen. Wer schon im Moment der Geburt die geerbte Sünde auf sich lasten hat, dass fiktive Vorfahren einen Apfel gestohlen haben, der ist wohl in einem langen Spiel mit Schuld gelandet.

Schuld fokussiert auf Vergangenheit und alles, was im Hier und Jetzt als schlecht wahrgenommen wird. Ohne den subjektiven Anteil der Wahrnehmung zu hinterfragen. 

Warum bremsen so viele Autofahrer auf Tempo 60 ab, wenn bei erlaubtem Tempo 80 ein Radargerät steht? Weil sie sich so gut fühlen und sie ein Beispiel für ihre erfolgreich gelebte Übermoral setzen wollen? Oder weil sie von schlechtem Gewissen gedrückt nicht mal mehr der eigenen Wahrnehmung trauen, die ihnen sagt, dass hier ja Tempo 80 plus Toleranzgrenze erlaubt ist? 

„Oh Gott, ich weiß nicht, wie schnell hier erlaubt ist. Ein solcher Mist!“ – Und dahinter allzu oft die Implikation: „Ich bin aufs Neue nicht gut genug.“

Schuld nimmt durch den Fokus auf Vergangenes und auf negativ erlebte Auswirkungen die momentane Handlungsfreiheit und reduziert drastisch die Handlungsoptionen für die anstehende nahe Zukunft. Mit der Handlungsfreiheit geht die Selbstbestimmung verloren und ohne Selbstbestimmung ist Eigenverantwortung eine Illusion.

Verantwortung

Verantwortung – oder korrekter formuliert: Eigenverantwortung, genommene Verantwortung für sich selbst und das eigene Tun und Nichttun – hingegen anerkennt den Ist-Zustand mit allen Auswirkungen, die diese Situation hat. Denn ich habe es so weit kommen lassen, das ist also meine Kreation.

Wer sich für die Sichtweise der Verantwortung entscheidet, der wird am Radargerät vorbeifahren, auf Tempo 60 abbremsen, und in sich kurz lachen: „Haha, ich fahre schon wie die ganzen armen Sünder. Ich darf wirklich genauer aufpassen, wie schnell zu fahren jeweils erlaubt ist.“

Mit der Orientierung auf das, was ist und das, was daraus werden kann, mahnt der Blickwinkel der Verantwortung fast automatisch Aktionen ein. Und mit der Notwendigkeit kommt fast immer die Offenheit für mehr und für neue Handlungsalternativen einher. Das Beste zu wollen und den Weg des geringsten Widerstandes zu wollen, können einander großartig ergänzen, statt nur im Widerspruch zueinanderzustehen.

Umgang mit den Emotionen

Und wie komme ich von der gebremsten Schuldhaltung in die aktive Verantwortungshaltung?

Schuld als Emotion baut auf anderen Emotionen auf. Die – je nach psychologischer Schule – häufigsten Grundlagen für Schuld basieren auf Angst, auf Traurigkeit und auf Ärger.

Mit Angst zu arbeiten, die Traurigkeit zu institutionalisieren oder den Ärger in den unkontrollierbaren (weil nicht wahrnehmbaren) psychologischen Schatten zu verbannen, können manche der Weltreligionen oder kleineren Sekten auch ganz wunderbar.

Sind Religionen also schlecht? Nein. Sie haben einen guten Kern. Sie haben aber auch etwa einen Kern frustrierter alter Männer, die scheinbar liebend gerne kontrollieren und manipulieren. Und das ist weniger gut.

Sind es nur Religionen oder Sekten, die das tun? Nein. Wie ich eingangs gesagt habe: Institutionen. Das können auch einzelne Personen sein wie ganz übliche Haushaltstyrannen. Oder Abteilungsleiter oder Sporttrainer oder Amtsleiter oder Vorstände oder, oder, oder.

Um auf die Seite der Verantwortung zu gelangen, bedarf es der Entscheidung, das zu wollen. Dann darf man sich mit seinen aufgestauten und antrainierten negativen Emotionen auseinandersetzen. Und schließlich braucht es noch Übung. Das Wichtigste: Es ist machbar. Für jeden machbar.