Willkommen zu meinem philosophischen Exkurs „Das Modell der Psyche“
Zur analytischen Psychologie und zu ihrem Begründer Carl Gustav Jung habe ich ja an anderer Stelle hier schon etwas gesagt.
Die Basis der analytischen Psychologie ist Jungs Modell der Psyche. Zunächst unterteilt der Schweizer Psychiater die Psyche in einen bewussten und einen unbewussten Teil. Der Begriff „Bewusst“ kommt vom mittelhochdeutschen „bewissen“, also Wissen über etwas haben.
Alles, worüber wir uns Gedanken machen oder uns darüber Gedanken machen können ist somit im bewussten Verstand. Alles, das unseren Gedanken entgeht, ist im unbewussten Verstand.
Du weißt, wie du heißt? Bewusst. Du kannst willentlich einatmen und ausatmen? Bewusst. Dein Körper atmet einfach weiter, wenn du es nicht willentlich machst? Unbewusst. Du weißt nicht, wie du deine Fingernägel wachsen lässt? Unbewusst.
Carl Gustav Jung adressierte zusätzlich noch die Tatsache, dass viele unserer Instinkte und Reflexe den meisten Menschen gemein zu sein scheinen, während andere Verhaltensweisen höchst individuell ausgeprägt sind.
Er unterteilt daher den unbewussten Verstand noch mal in das persönliche Unbewusste und das kollektive Unbewusste. Im kollektiven Unbewussten sind all jene Verhaltensweisen angelegt, die in unserem Kollektiv uns allen gemeinsam sind. Während im persönlichen Unbewussten alles abgelegt ist, das für das einzelne Individuum sehr spezifisch ausgeprägt ist.
Was ist dabei mit Kollektiv gemeint? Ein Kollektiv ist jegliche soziale Gruppierung, die eine Form von Kultur teilt. Das ist zum einen die Familie und Verwandtschaft, zum anderen können es Vereine sein. Aber auch die jeweilige Region trägt kulturelle Eigenschaften bei, die Nation, der Kontinent und so weiter.
Auch haben alle höheren Säugetiere einige recht gleiche Reflexe und Verhaltensweisen, also so gesehen eine Art gemeinsame Kultur, auch alle Tiere, alle Erd-Lebewesen und so weiter und so weiter.
Wir haben also einige Hierarchien von Kollektiven in unserem kollektiven Unbewussten. Und manche der dort angelegten Verhaltensweisen sind direkt in uns vorhanden, andere haben durch unsere Erfahrungen und individuellen Gegebenheiten eine persönliche Ausprägung des Verhaltens im persönlichen Unbewussten erfahren.
Diese im kollektiven Unbewussten angelegten Grundstrukturen menschlicher Vorstellungs- und Handlungsmuster nennt man in der analytischen Psychologie auch Archetypen. So ein Archetyp ist also eine Art Grundprägung, die prinzipiell für alle Menschen gleich ist, und dennoch für jedes Individuum persönlich gefärbt ausgeprägt ist.
Zum Beispiel identifiziert sich jeder Mensch mit vielen Dingen. Für die einen mag beispielsweise die Zugehörigkeit zu einer Gruppierung absolut identitätsgebend sein. Manche sind vielleicht voll über ihre Familie und Verwandtschaft identifiziert. So sind wir nun mal in unserer Familie. Manche andere mögen einem Fußballclub mit Leib und Seele angehören und in Tränen ausbrechen, wenn ein wichtiges Spiel verloren geht.
Außer über Gruppierungen identifizieren sich viele über ihre Talente, die sie in sich selbst zu erkennen glauben. Manche halten sich für zum Beispiel mathematisch hochbegabt, oder manche andere denken sie seien sehr empathisch veranlagt. Oder sie denken, sie können Mathematik gar nicht oder sie haben eben kein Feingefühl. Vielleicht, weil das in der Familie und Verwandtschaft einfach so ist.
Wir sehen schon: jeder von uns hat eine ganze lange Liste an Dingen, mit denen sich jeder identifiziert. Manche sind wichtiger als andere, aber das alles sind wir. Ich bin nun mal so, ich kann das nun mal. Oder eben nicht.
Dieses archetypische Verhalten, dass wir uns mit allen möglichen Dingen oder Fähigkeiten oder Eigenschaften identifizieren, haben alle Menschen. Und dieser Archetyp charakterisiert, was wir für uns selbst halten. Und damit heißt dieser Archetyp „Ego“. Ego ist alles womit wir uns identifizieren.
Die Grundstruktur ist im kollektiven Unbewussten angelegt: Wir alle identifizieren uns mit allen möglichen Aspekten. Aber, womit wir uns genau identifizieren, ist höchst individuell ausgeprägt. Sogar mitten im Kommunismus hatte jeder seine ganz eigenen persönlichen Dinge, mit denen er sich identifiziert. Und zwar im persönlichen Unbewussten.
Und wir alle wissen, dass wir uns zwar selbst für so manches halten, uns damit identifizieren. Aber alle anderen sehen auf den ersten Blick, dass das nur Selbstwahrnehmung ist. In der Realität für die anderen sind wir ganz anders, Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung liegen ganze Welten auseinander.
Diese Dinge, die unsere Identifikation mit etwas – also unser Ego – angreifen und zerstören würden, verdrängen wir in einen Bereich des tief unbewussten Verstandes. Dieser archetypische Bereich heißt Schatten. Und auch wenn er oft als negativ und böse beschrieben wird, so enthält er einfach unbewusst nur alles, das unsere Identifikationen im Ego zerstören würde. Wertneutral, nicht gut, nicht böse. Einfach nur das was mit dem Ego völlig unverträglich ist.
Als Beispiel: Ich identifiziere mich damit sehr empathisch und einfühlsam zu sein? Aber alle anderen wissen genau, dass es nur irgendwas, beispielsweise ein bisschen zu regnen, braucht und ich bin alles außer empathisch und einfühlsam. Dieses Verhalten in dem ich nicht empathisch und einfühlsam bin ist in meinem Schatten, es ist nicht verträglich mit meinem Ego.
Dann gibt es den Archetypen des Selbst. Das ist alles was bewusster oder unbewusster Verstand als zu sich selbst gehörig begreift. Das ist natürlich sehr viel mehr als Ego und Schatten zusammen. Denn der unbewusste Verstand versteht den Schatten natürlich sehr genau. Nur darf das eben nie bis ins Ego vordringen.
Zum Beispiel kann jemand seine Haarfarbe als zu sich gehörig begreifen, ohne sich mit ihr zu identifizieren oder die Haarfarbe in den Schatten zu drängen, weil sie mit irgendwas in Konflikt steht. Ich habe halt dunkle Haare mit grauen Schläfen, das gehört zu mir. Aber das bin nicht ich auf Identifikationsebene. Ich könnte sie ja rot färben und wäre immer noch ich. Aber für andere mag die Haarfarbe durchaus Teil des Ego sein. Oder die grauen Schläfen könnten in den Schatten gedrängt werden, weil sie einer Selbstidentfikation entgegenstehen.
Das war ein Beispiel für etwas das zum Selbst gehört und aus dem bewussten Verstand kommt. Ich weiß das und kann mir Gedanken darüber machen. So vieles anderes von mir selbst, von meinem Selbst, ist unbewusst. Das Selbst ist also deutlich mehr und deutlich größer als Ego und Schatten.
Wir sehen also, dass das Ego sich selbst auf eine Art und Weise begreift, die manchmal mit anderen Menschen zumindest in verschiedenen Kontexten zu Problemen führen könnte. Daher hat jeder Mensch die Eigenschaft in verschiedenen Kontexten eine eigene Rolle zu spielen, in der das der inneren Identifikation entsprechende Verhalten maskiert und versteckt wird. Stattdessen wird eben eine Rolle gespielt, die ein sozial verträgliches Verhalten vorspielt.
Als Beispiel, weil es in so vielen Familien vorkommt: Der Vater, der so oft nicht daheim bei der Familie ist. In Worten ist die Familie sein Ein und Alles. In Taten ist die Familie das nicht. Da hat die Rolle, der sogenannte Archetyp Persona, noch nicht übernommen zu maskieren, dass die Familie ihm nicht wichtig ist. Alles andere ist real wichtiger. Das ist die einzige ehrliche Aussage. An dieser Identifikationssache wird nichts etwas ändern.
Erst mit Druck wird die Rolle, die Persona, so beginnen zu tun, als wäre die Familie über Worte hinaus wichtig.
Tatsächlich ist die Familie das nicht, manches davon wird völlig unbewusst im Schatten landen. Das Ego wird sich einerseits nicht auf Dauer zwingen lassen daheim zu sein, und der Schatten wird andererseits aggressive Wege finden sich für den Freiheitsentzug zu rächen. Missbrauch und Übergriffe können folgen.
Persona ist also die Rolle, die vom Ego gespielt wird, um sozial verträglich zu sein. Aber es ist nur eine Rolle, die einerseits eine Form der Täuschung ist und andererseits im Schattenverhalten oft nach einer Kompensation schreit.
Welche Archetypen sieht Carl Gustav Jung noch im Modell der Psyche? Anima für Männer und Animus für Frauen gehört noch zu den großen wichtigen Archetypen im Modell der Psyche.
Anima ist das Idealbild einer Frau, das sich an der Mutter orientiert schon sehr früh im Mann bildet, während Animus das Idealbild eines Mannes ist, das sich am Vater orientiert schon sehr früh in der Frau bildet.
Darum suchen sich Männer meist einen Typus Frau, der der Mutter ähnelt, während Frauen sich einen Typus Mann suchen, der dem Vater ähnelt.
Je unreflektierter jemand bezüglich seiner Eltern ist, und je ungesünder die Eltern-Kind-Beziehung war, um so problematischer ist das Ganze. Aber wer nicht reflektiert ist, der wird lieber wegschauen, aktiv verdrängen, und immer mehr und mehr in den Schatten packen. Und ungesünder und ungesünder werden.
Reflektieren ist eine Art Analyse. Und die analytische Psychologie, als eine Einsichtstherapie, lebt davon Dinge und Zusammenhänge zu erkennen. Die Einsicht, dass etwas so ist, wie es ist, rückt direkt im Ego und im Schatten dieses Etwas zurecht. Und wird damit auch direkt einiges in verschiedenen Personae verändern.
Und schon ist durch zufällige oder reflektierte Einsicht eine Veränderung passiert. Wie von selbst. So lernt im ungesunden Fall, weil nicht ehrlich reflektiert, die Persona eine Grundeinstellung zu maskieren.
Grundeinstellungen werden sich nicht verändern. Wenn, wie im vorherigen Beispiel, Familie nicht wichtig ist, wird sie das auch nicht werden. Wenn derart essenzielle Dinge nicht in der Kindheit angelegt wurden, dann werden sie das auch nicht.
Aber so viele andere Dinge die einen selbst, und nur einen selbst betreffen, können sich ändern. So könnte Ehrlichkeit sich selbst gegenüber oder anderen gegenüber plötzlich die Wertigkeit erhalten das auch mal den anderen zu sagen.
Sich nicht selbst wirklich gründlich zu reflektieren ist aus Sicht der analytischen Psychologie fast eine Art der Selbstmisshandlung. Sich nur mit den Seiten zu beschäftigen, die dem Ego und den involvierten Rollen gefallen ist eine Art der Selbstmisshandlung. Das alles heißt sich selbst zu belügen, indem man nicht hinschaut. Das alles ist ein Schritt zurück, ist ein aktives Degenerieren. Und damit ein Verbrechen an der eigenen Menschlichkeit.
Also schau hin. Reflektiere dich. Kenne dein persönliches Modell der Psyche.
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